Kümmere dich um die Probleme, die du auch wirklich lösen kannst. Zum Beispiel den acht überflüssigen Kilos, die du mit dir rumschleppst.

Ich habe in den letzten Monaten des Pandemie-Wahnsinns eine Menge Dinge gelernt. Über meine Mitmenschen, über die Gesellschaft unseres Landes und über die Personalien und Institutionen, die uns regieren. Aber ohne echte soziale Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts (diese bekloppten Zoom-Parties zählen nicht) wird man natürlich auch introspektiv. Man denkt viel über sich selber nach. Und hierbei habe ich die für mich wichtigsten Entdeckungen von allen gemacht.

Leute, die mich kennen wissen, dass ich eine grauenhafte Schulzeit hatte. Ich bin jahrelang von meinen Mitschülern psychologisch terrorisiert worden – im Volksmund nennt man das auch gerne salopp “Mobbing”. Das hat sich erst geändert, als ich ein Auslandsjahr in Australien verbrachte. Nicht nur, dass ich da plötzlich meine Peiniger los war, ich habe mich auch selbst gefunden. Seit diesen zwölf Monaten in den Jahren 2000 und 2001 habe ich einen unerschütterlichen Kern der inneren Ruhe. Ich weiß wer ich bin, wo ich herkomme und was ich kann. Später auf der Uni habe ich gelernt, wo ich hin will. Ich habe mir einen Sinn für meine Existenz auf diesem Planeten gesucht.

Seit Australien ist mir ziemlich egal, was andere über mich denken. Ich versuche mich allein darauf zu konzentrieren, was ich tue. Ein wichtiger Teil davon ist, valide Kritik anzunehmen. Das ist einer der schwersten Punkte, aber ich glaube, dass ich hierbei kontinuierlich besser werde, je mehr Zeit vergeht und je mehr Erfahrungen ich sammele. Aber ein anderer wichtiger Aspekt dieser Verbesserung ist es, Meinungen, aus denen ich keine Verbesserung meiner Arbeit oder meines Verhaltens ziehen kann, einfach zu ignorieren. Ich habe über die Jahre gelernt, dass man manche Dinge einfach nicht ändern kann – und es auch gar nicht versuchen sollte. Die Gruppe von Leuten, die partout nichts von dem, was man macht, auch nur irgendwas abgewinnen können, sind es nicht wert, auch nur eine meiner Gehirnsekunden zu belegen.

Stephen R. Covey nennt das in seinem berühmten Buch The 7 Habits of Highly Effective People auch Proaktivität. Unterteile dein Leben in die Dinge, die du ändern kannst und die Dinge, auf die du keinen Einfluss hast. Und dann konzentrier deine ganze Energie drauf, die Dinge zu verbessern, die du ändern kannst. Mit anderen Worten: Sei kein Opfer. Verlier dich nicht in den Ungerechtigkeiten des Lebens oder den Privilegien anderer. Sei proaktiv, nicht reaktiv. Bestimme selbst, wer du sein willst und überlasse diese Entscheidung nicht den anderen oder “denen da oben”.

In Bonn wollten sie mich nicht ins Uni-Radio lassen. Also habe ich 2006 angefangen, zu podcasten. Das hat mein Leben verändert. Als ich es bei Heise nicht geschafft habe, Dinge zu verändern, die mir wichtig waren, habe ich gekündigt. Auch das hat mein Leben signifikant besser gemacht. Ich habe also in meinem Leben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Veränderungen gut sind. Vor allem, wenn man proaktiv ist und damit sein eigenes Schicksal steuert anstatt darauf zu warten, dass andere das für einen tun.

Im COVID-1984-Wahnsinn ist mir nun bewusst geworden, dass das auch für mein Verhältnis gegenüber der Gesellschaft im Allgemeinen gilt. Ich halte es für meine Pflicht als Bürger und meine Aufgabe als Journalist, meine Meinung kund zu tun und über Dinge zu schreiben, die ich für wichtig halte. Aber wenn soziale Netzwerke dafür nicht mehr taugen, dann bringt es nichts, dort mit Menschen zu diskutieren, die in ihrer Meinung so gefestigt sind, dass sie einem eh nicht zuhören. Und das Gleiche gilt auch für Diskussionen und Gespräche, die in anderen sozialen Rahmen stattfinden. Ich bin immer offen für Diskussionen, in denen beide Seiten zuhören, aber wenn ich das Gefühl habe, dass ich mit Kritik konfrontiert bin, an der ich nichts ändern kann oder jemand nicht mal versucht zu verstehen, was meine Argumente sind, dann ist das für mich dieser Tage ein Grund, mich lieber der nächsten Aufgabe zuzuwenden. Genug zu tun gibt es allemal.

Und der Lockdown hat mir noch etwas verdeutlicht. Ich habe mich in meinem eigenen Selbstbild viel zu reaktiv verhalten und andere bestimmen lassen, wie ich mich selbst sehe. Auch deshalb, weil ich in manchen Dingen einfach zu faul bin. Aber mit der richtigen Motivation kann ich das eigentlich immer überwinden. Und in meinem Fall ist das nun die UFC und die Erkenntnis, dass Leidensdruck auch etwas Positives sein kann. Ungewöhnliche Persönlichkeiten treten nicht umsonst in ungewöhnlichen Situationen, meist Krisen, auf die Bühne der Geschichte. Laut Dan Crenshaw, dessen Buch Fortitude: American Resilience in the Era of Outrage den nächsten Platz auf meiner Zu-Lesen-Liste belegt, liegt das daran, dass man auf zwei Arten auf harte Umstände reagieren kann: Man kann aufgeben und man kann die Herausforderung suchen.

Und ich bin eigentlich niemand, der aufgibt. Warum habe ich dann bei meinem Doppelkinn aufgegeben und mich seit Jahren nicht mehr wirklich getraut, mich zu rasieren? Warum hab ich mich mit meinen Rettungsringen abgefunden? Anstatt die Herausforderung anzunehmen und mich ein paar harten Umständen auszusetzen? Etwa alle paar Tage zehn Kilometer zu laufen und mit den Schmerzen in meinen Knien und meiner Lunge klarzukommen. Warum habe ich mit der Ausrede abgefunden, dass ich dafür einfach zu viel Arbeit zu tun habe? Arbeit, die ein Großteil der Öffentlichkeit dann eh nur wieder ignoriert, weil meine Erkenntnisse dem Zeitgeist zuwiderlaufen.

Ich habe in diesem ganzen Corona-Wahnsinn vor allem gelernt, mir mehr Zeit für mich zu nehmen. Zeit um etwas Fortitude zu entwickeln, wie Crenshaw es nennt. Befasse dich mit den Problemen, die du auch wirklich lösen kannst. Wenn der Rest von Deutschland sich hinter Masken verstecken und Angst haben will, lass sie doch. Wir haben einen Bierbauch zu besiegen.