Führungslos
Wo ist eigentlich Helmut Schmidt, wenn man ihn braucht? Stattdessen haben wir eine kopflose Bundesregierung, die hilflos vor einem Scherbenhaufen steht und sich wundert, was denn bloß passiert ist.
In seinem Morning Briefing für The Pioneer beklagte Gabor Steingart am Dienstag die Abwesenheit einer Führungspersönlichkeit vom Kaliber Helmut Schmidts im “Impfchaos” hierzulande. Das greift viel zu kurz. Unsere Regierung ist nicht nur bei der Verteilung des Impfstoffes geistig abwesend – das ist angesichts der Wahrheit schon fast bedeutungslos. Vielmehr ist unser Land seit Beginn des Virus-Ausbruchs führungslos.
Ist ist nun gut ein Jahr her, seit ich zum ersten Mal vom Ausbruch eines neuartigen Coronavirus in der chinesischen Stadt Wuhan hörte. Ich gehe mal davon aus, dass die deutsche Bundesregierung in dieser Hinsicht bessere Quellen hat als ein einsamer freier Journalist, also können wird wohl getrost vermuten, dass das Kabinett Merkel, beziehungsweise seine Mitarbeiter und Berater, auch seit mindestens einem Jahr weiß, dass das SARS-CoV-2-Virus (damals noch bekannt als “2019-nCov”) existiert.
Liest man sich die Veröffentlichungen von Gesundheitsbehörden und Katastrophenschützern der Länder und des Bundes von vor 2019 durch, stellt man fest, dass Experten seit Mitte der ‘90er Jahre mit dem pandemischen Ausbruch einer hochansteckenden Atemwegserkrankung gerechnet haben. Der erste Ausbruch eines SARS-Virus fand im November 2002 in Guangdong in China statt. Noch davor, im Juli 2000, wurde in Deutschland das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) erlassen. Auf Grund dieser Faktenlage könnte man meinen, unsere Regierung und deren Experten hätten auf den Ausbruch einer hochansteckenden Atemwegserkrankung, vielleicht sogar eines neuen SARS-Stammes, vorbereitet sein müssen. Spätestens aber Ende März 2020 war klar, wie ernst die Lage ist – viele meiner Kollegen in der Presse lassen ja seitdem schließlich keinen einzigen Tag vergehen, ohne uns Angst vor “der Pandemie” (oder auch stümperhaft “Corona”) zu machen.
Was ist seitdem passiert? Sind Milliarden in das Gesundheitssystem geflossen? Hat der Staat alles daran gesetzt, Krankenhäuser besser auszustatten, mehr Pfleger und Ärzte einzustellen und die Notfall-Kapazitäten auszubauen? Wurden etwa Gesetze geändert, um das zu ermöglichen? Werden Ärzte und Pfleger jetzt dramatisch besser bezahlt? Ist der Staat gewaltsam gegen die Profitgier der Krankenhausbetreiber vorgegangen? Sind Milliarden in den Breitbandausbau geflossen? Wurden von der Regierung nie dagewesene Programme auf den Weg gebracht, um das Arbeiten und Lernen von zu Hause zu ermöglichen?
Nein? Warum nicht? Weil die Regierung Merkel sich zwar mit in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie dagewesenen Befugnissen ausgestattet hat, die Freiheit der Bürger einzuschränken, trotzdem aber komplett unfähig ist, zu führen.
Wie kann es sein, dass eine deutsche Firma innerhalb von Rekordzeit einen revolutionären Impfstoff entwickelt – ein Hoch auf den Triumpf der Integration von Einwandererfamilien bla, bla, laber, laber – und dann kriegen andere Länder mehr von dem Wundermittel als wir? Mal ganz davon abgesehen, wie wichtig der Impfstoff am Ende bei der Bekämpfung des Virus-Ausbruchs am Ende wirklich ist, wie kann das sein? Warum ist ein Bundesgesundheitsminister noch im Amt, der im Februar 2020 (!!!) noch behauptet hatte, man müsse mehr Mut zu Krankenhausschließungen haben? Und der jetzt mit einem lächerlichen Impfplan rumkrebst, während die Regierung des angeblich so trotteligen Donald Trump doppelt so viele Dosen des Deutschen Impfstoffes geliefert bekommt wie die ganze EU? Wenn Trump wirklich so blöd ist, wie meine Kollegen bei Spiegel, Zeit, der Süddeutschen und den anderen Leitmedien ständig wiederkäuen, was sagt das dann über Jens Spahn aus?
Warum machen wir einen riesen Palaver um einen Lockdown im April 2020 weil #FlattenTheCurve und die Krankenhäuser laufen voll !!!!1!!einself! und dann passiert im Anschluss rein gar nichts? Da wurden keine Intensivstationen rapide erweitert. Keine Intensivpfleger mit Riesengehältern gelockt und im Schnelldurchlauf trainiert. Keine Ärzte in der Ausbildung zwangsverpflichtet. NICHTS! Hätte man alles machen können. Aber da ist gar nichts passiert.
Stattdessen tritt Merkels Kabinett das Grundgesetz mit Füßen (und im Gegensatz zu Helmut Schmidt nicht einmal mit vollem Bewusstsein dessen, was da gerade passiert) und sichert sich alle möglichen Rechte zu, die Bürger zu drangsalieren. Und dann werden Regeln erlassen, die so unlogisch sind, dass sie am nächsten Tag von Zwölfjährigen eloquenter auf YouTube auseinandergenommen werden, als sie von Vollidioten wie Bärbel Bas (aus meiner Heimatstadt, welche Schande) im Bundestag begründet wurden. Diese Bundesregierung schaut seit einem Jahr auf eine Infektionskurve, die genauso aussieht wie bei jeder einzelnen anderen Pandemie seit Menschengedenken, und ist immer wieder aufs Neue überrascht. Dann schlagen die Damen und Herren die Hände über dem Kopf zusammen, sind bestürzt, gucken betroffen in die Kameras und treten die Freiheit derer, die ihr Gehalt bezahlen, noch ein bisschen mehr mit Füßen. Das ist keine Führung, das ist Ohnmacht.
Und wenn dann, nach Monaten – endlich – ob des ganzen Wahnsinns auch mal Menschen aufmucken, werden sie pauschal von der Mehrheit im Bundestag und dessen Sprachrohren bei den Leitmedien als Nazis und Verschwörungstheoretiker beschimpft.
Statt den Mächtigen auf die Finger zu schauen – was ihr gesellschaftlicher und verfassungsmäßiger Auftrag in einer freiheitlichen Demokratie wäre – macht die Presse den Bürgern Angst. Da ist es auf einmal eine Schlagzeile, wenn in einem Krankenhaus die Intensivstation komplett belegt ist. Obwohl jeder, der in einem Krankenhaus arbeitet, oder jemand kennt der in einem Krankenhaus arbeitet, weiß, dass komplett belegte Intensivstationen seit Jahrzehnten normal sind. Wie sollte es auch anders sein in einem System, in dem die weit größte Zahl aller Kliniken Profit machen muss? Man muss wirklich kein BWL studiert haben um zu wissen, dass bei dauerhaft zu niedriger Auslastung – egal wovon – sofort die Controlling-Abteilung anklopft. Wieso sind Journalisten bei Tageszeitungen und beim Spiegel zu blöd, sowas zu recherchieren? Aber klar, die meisten meiner Kollegen haben letztes Jahr schließlich Monate – und Dutzende Artikel und News-Meldungen – gebraucht, um zu lernen, dass es überhaupt einen Unterschied zwischen DNA und RNA gibt. Was soll man da auch anderes erwarten? Zumal sich mit Panik gut Geld verdienen lässt.
Und so haben wir eine Regierung, die vor einem Scherbenhaufen historischen Ausmaßes steht und keine Antworten hat. Diese Regierung entwickelt nicht die geringsten langfristigen Lösungsansätze, egal wie offensichtlich dramatisch die Lage ist. Führungsstärke in der Not sucht man hier vergebens.
Grundsätzlich hat Gabor Steingart also schon die richtige Frage gestellt: Wo ist bloß Helmut Schmidt? Ach ja, ich erinnere mich, der ist tot. Muss COVID gewesen sein. Schrecklich, diese Pandemie. Am besten gehen wir ein weiteres Jahr nicht vor die Tür. Merkel macht das schon. Irgendwie.
Aufmacherbild: Helmut Schmidt redet mit Werftarbeitern (Quelle: Bundesregierung)