Die einen tun das Richtige aus falschen Gründen, die andern tun das Falsche, denken aber sie machen die Welt besser. Und die vernünftigen Leute sitzen in der Mitte und fragen sich, wie wir aus dem Mist je wieder rauskommen sollen.

Ich beobachte in meiner Twitter-Timeline momentan den verstörenden Trend verächtlicher Kommentare gegenüber Demonstrationen gegen die Pandemie-Maßnahmen und den Leuten, die an diesen Demonstrationen teilnehmen. Das geht mittlerweile weit über das hinaus, was mir in diesem Zusammenhang selbst widerfahren ist. Viele Menschen scheinen der Meinung zu sein, dass solche Meinungsäußerungen verboten gehören.

Auf der einen Seite verstehe ich natürlich, wo das herkommt. Weil bei diesen Demonstrationen natürlich auch viele Deppen mitlaufen, die sehr abstruse Sachen von sich geben. Auf der anderen Seite verstehe ich es aber auch wieder nicht, da wir eigentlich alle damals im Politikunterricht gelernt haben müssten, dass friedliches Demonstrieren ein unentbehrlicher Grundfeiler unserer Demokratie ist. Eine Demokratie muss alle Meinungen, so lange sie in einem verfassungskonformen Rahmen vorgetragen werden, aushalten können. Für viele Menschen auf Twitter scheint das allerdings nur zu gelten, so lange da inhaltlich so demonstriert wird, dass es mit der eigenen Meinung übereinstimmt.

Also haben wir da jene, die von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen, das aber zum Teil aus abstrusen Gründen tun, mit denen ich nicht übereinstimme. Und wir haben jene, die dagegen sind, weil sie die abstrusen Gründe nicht mögen – und sich somit als Herrscher darüber aufspielen wollen, welche Meinung geäußert werden darf und welche nicht. Das Erstere ist unschön, das Letztere ist gefährlich. Und so kommt es mir vor, als dass der Wille des intelligenten Teils der Bevölkerung zwischen zwei extremen Gruppierungen zermahlen wird: Denen, die das Richtige tun, aber zu dumm sind, zu wissen wieso. Und denen, die überzeugt sind, das Richtige zu tun, aber zu dumm sind, zu merken, dass sie stattdessen alles kaputt machen.

Es ist schade, dass es wenige Demonstrationen gegen die Pandemie-Maßnahmen gibt, die auf den haufenweise guten Gründen fußen, die man dagegen anbringen kann – man hätte einen Haufen staatsrechtliche, ethische und gesellschaftliche zur Auswahl. Dass diese Demonstrationen hingegen von Irren, Spinnern und geistig minderbemittelten unterwandert sind, ist ein Grund zum Unmut. Es ist allerdings kein Grund, sich verächtlich gegen die Demonstrationen selbst zu äußern und alle Demonstranten in einen Topf zu schmeißen. Menschen, die sich derart undemokratisch verhalten, sind schlimmer, als die Irren und die Spinner. Vor allem, wenn sie in anderen politischen Situationen für sich selbst das Recht beanspruchen, für das was sie für richtig halten, auf die Straße zu gehen.

Zumal es nur einen Grund geben kann, gegen verfassungskonforme Demonstrationen (auch von Irren, Spinnern und gefährlichen Menschen) zu sein: Angst. Angst, dass diese Leute vielleicht doch Recht haben könnten. Oder dass sie, selbst im Unrecht, ihren Standpunkt so eloquent oder kraftvoll vortragen, dass die Allgemeinheit auf ihre Seite gezogen wird – womit sie schließlich in einer Demokratie an die politische Macht kommen könnten. Wenn man aber diese Angst nicht hat, wenn das doch eh alles nur dumme Spinner sind, warum würde man sie dann vom Demonstrieren abhalten wollen?


Aufmacherbild: Protestanten bei der “Welcome to Hell”-Demo gegen den G20-Gipfel in Hamburg (Foto: Thorsten Schröder)