Dating-Hölle
Anderen heutzutage beim Daten zuzuschauen macht mich sehr froh, dass mir so etwas erspart bleibt.
Diese Woche saß ich eines Vormittags in einem Café und versuchte zu arbeiten. Aber das war nicht ganz einfach, denn am Nebentisch unterhielt sich ein Pärchen, dessen Konversation ich einfach nicht ausblenden konnte – egal, wie sehr ich es versuchte. Die Beiden waren offensichtlich auf einem ersten Date, nachdem sie sich auf irgendeiner Dating-App kennengelernt hatten.
Abgesehen von dem üblichen Millennial/Zoomer-Blödsinn, den die Beiden von sich gaben – Elektroautos sind die Rettung der Menschheit, Menschen, die momentan nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Maske tragen sind quasi Hitler …so etwas halt – war ich besonders von der Art fasziniert, wie sie sich gegenseitig bezüglich ihrer Weltsicht verhörten. Und verhören ist da genau das richtige Wort. Das Ganze lief eher wie ein Vorstellungsgespräch aus der Hölle als wie ein Date ab. Das lag offensichtlich daran, dass die beiden aus dem App-Profil schon einiges übereinander wussten und das erste Treffen nun dazu nutzten, sich gegenseitig idiologisch auf Herz und Nieren zu prüfen. Die beiden schienen sich dabei auch durchaus einig zu werden, was die ganze Sache nur noch unerträglicher machte, denn nun begannen sie beide simultan den Versuch, den anderen möglichst hart zu beeindrucken.
Das Ganze war unglaublich cringe. Ich saß daneben, konnte vor lauter Fremdschäm-Faszination nicht weghören, und versuchte krampfhaft nicht zu brechen. Meine Güte was bin ich froh, dass ich jetzt seit gut zwanzig Jahren in einer glücklichen Beziehung lebe und mir dieser Stress erspart bleibt! Immerhin hat man sich früher bei einem Date hauptsächlich unbekannterweise getroffen und sich dann langsam an einander rangetastet um sich kennenzulernen. Das war auch damals schon nicht stressfrei, aber immerhin adrenalingeladen und immerhin einigermaßen spannend. Dieses appgesteuerte gegeneinander Ausfragen und möglichst schnell feststellen wollen, ob der Andere idiologisch korrekt tickt ist ja schrecklich. Am Nebentisch erinnere mich das Prozedere eher an ein Mitgliedertreifen der KPdSU im Stalinismus als an ein Date. Kein Wunder, dass ich keine Arbeit geschafft gekriegt habe. Na ja, immerhin hat mir die Erfahrung Stoff für eine Kolumne geliefert.