Dem Bürger allerhand zu verbieten scheint die neue Universal-Lösung unserer Politiker für viele Probleme zu sein. Leider wird dies von der Presse heutzutage eher blind unterstützt, als es kritisch zu beleuchten.

Stefan Gross schreibt auf Twitter:

Auch wenn die “Liberalen” wieder im Dreieck springen, seh ich auch so: Staatlicher Eingriff: Keine Angst vor Verboten. Der Staat setzt immer Regeln u. Rahmenbedingungen, INNERHALB derer man dann die Freiheit hat, zu tun ws man “will”.

Klar am Ende ist es ein gesellschaftlicher Konsens wieviel Regeln man sich “gönnt”. Das ist auch in Ordnung. Ich finds nur grade lustig, wie viele seit Tagen grad “austicken” beim Gedanken, der Staat könnte den Zuckergehalt von Softdrinks regeln.

Die Max. v. #PublicHealth oder “lebenswerter Umweltbedingungen für nachfolgende Generationen” sei (darf nicht) auch kein politsches Ziel liberaler Demokratien (sein).

Ökonom. Max. (um jeden Preis?) aber anscheinend schon? Spannendes Argument. Möchte ich mehr von wissen.

IMHO wird dann ja gerne auf das Konzept des “mündigen u. eigenverantwortlichen Bürgers mit freiem Willen” verwiesen, insb. man müsse “Aufklärungskampagnen” zu #PH Problemen wie Adipositas machen, das sei die Lösung, verkennt dabei aber völlig, daß das ein sinnvolles Konzept in Jura insb. Verfassungsrecht ist, so wie der “H. oeconomicus” ein sinnvolles Konzept in der VWL/BWL ist, aber keine vollständige Beschreibung der Realität liefert, aber eben daher ist das auch kein hinreichendes Konzept f. #PublicHealth Lösungen.

#PH Lösungen erfordern immer das Zusammenspiel aus individueller “Aufklärung” u. legislativen Begleitmaßnahmen. Sonst wird das langfristig nix. Rauchprävention ist das Paradebeispiel u. UK das Paradeland (u. meines Wissen immer noch eine liberale Demokratie).

“Healthy Environment” ist das Stichwort. Die es dem Einzelnen leicht macht, gesund zu leben u den individuellen “Effort” dafür gering hält, u den politischen hoch, statt wie jetzt, wo der gesamte “Effort” beim einzelnen Bürger abgeladen wird.

Wir müssen das nicht machen, solange uns dann als Gesellschaft klar ist, daß wir den “Preis zahlen” z.B. in Form von Gesundheitssystemkosten wg. metabolischer chronischer Erkrankungen, ökonom. “Schäden” durch Krankenausfalltage etc.

Das ist ähnl. zum Klima-/Umweltschutz, wir müssen uns entscheiden, welche ökonom, polit, sozialen etc. Kosten sind wir bereit, jetzt zu zahlen für #PublicHealth statt in der Zukunft u welche “Kosten” sind höher und welches Outcome “schlimmer”? Ich hab da meine Meinung.

Weil ich mich in meinem Podcast sehr oft mit dem Thema persönliche Freiheit vs. Regulierung durch den Staat beschäftige, wollte ich auf diesen Threat hier mal etwas detaillierter antworten. Ich sehe mich nicht als Liberalen (vor allem nicht im Sinne der deutschen parlamentarischen Abgrenzungen von politischen Ansichten), aber ich stehe natürlich eher auf der libertären Seite der Diskussion.

Meiner Meinung nach liegen dem Zeit-Artikel und dem Kommentar von Stefan zwei grundliegende Missverständnisse zugrunde. Beim ersten handelt es sich um eine staatstheoretische Annahme, die hier vernachlässigt wird. Die Gesetze, die dem deutschen Staatswesen seit Gründung der Bundesrepublik zugrunde liegen, fußen in der Regel auf dem Verständnis, dass eine Demokratie nur dann funktionieren kann, wenn ihre Wähler aus mündigen Erwachsenen besteht. Daraus haben Politiker, sowohl der Legislative als auch der Exekutive, und auch Staatstheoretiker, eigentlich immer geschlossen, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, seine Bürger zu erziehen (da es sich ja um mündige Erwachsene handelt). Aufgabe des Staates ist es, eine Umgebung zu schaffen, in der jeder Bürger so frei und unbeeinträchtigt wie möglich leben kann. Daraus folgt wiederum das Verständnis, dass der Staat nur dann in das Leben eines Bürgers eingreifen sollte, wenn dessen Handeln die Rechte seiner Mitbürger einschränkt. Es ist, und war nie, Aufgabe des Staates, den Bürger vor sich selbst zu schützen.

Das heisst wiederum, dass der aktuelle Aufbau unseres Staates und unserer Gesellschaft grundlegend von diesem Prinzip beeinflusst wurde. Wir leben so, wie wir leben, weil wir bisher immer davon ausgegangen sind, dass es nicht die Aufgabe des Staates ist, seine Bürger zu bemuttern. Man kann das ändern, dann müssen wir uns aber auch die Frage stellen, wie eine Demokratie funktionieren soll, in der ein Staat einem Bürger nicht zutraut, die Geschwindigkeit seines Autos auf der Autobahn selbstständig zu bestimmen, aber auf der anderen Seite vom selben Bürger verlangt, sich eigenständig über komplizierte politische Themen zu informieren und dann als Wähler kompetent seine Volksvertreter zu bestimmen. Das scheint mir ein bisschen so, als wollen wir jemandem erlauben, einen Airbus A380 zu fliegen, der es nicht geschafft hat, die Führerscheinprüfung für ein KFZ zu bestehen.

Das zweite Missverständnis ist ein praktisches: Wir reden hier davon, dass es zu teuer für unser Gesundheitssystem ist, wenn Menschen zu viel Freiheit gelassen wird, ihren Körper zu ruinieren. Das ist ein Schein-Argument der schlimmsten Sorte. Unser Gesundheitssystem hat die Probleme, die es hat, nicht weil zu viele Menschen zu krank sind (aus welchem Grund auch immer). Die Probleme in unserem Gesundheitssystem haben wir deswegen, weil es in den letzten Jahrzehnten in ein Milliarden-Geschäft verwandelt wurde, dessen Zweck nicht die Aufrechterhaltung der Volksgesundheit, sondern das Erwirtschaften von Geld ist. Was hier versucht wird – unter anderem durch Artikel wie dem hier verlinkten aus der Zeit – ist, zu behaupten, wir müssten die Freiheit der Bürger einschränken, wenn die eigentlich naheliegende Lösung ist, die Freiheit der Firmen einzuschränken, die am Gesundheitssystem Milliarden verdienen. Wieso passiert das? Weil die Menschen, die an Medikamenten, Pflege und Krankenhäusern gut verdienen, natürlich deswegen auch sehr einflussreich sind (eben weil sie viel Geld haben) und den politischen Diskurs bestimmen.

Eigentlich wäre es die Aufgabe der Presse hier einzugreifen, wenn mächtige Menschen (Politiker und Firmenchefs) versuchen, die Freiheit des Bürgers einzuschränken, damit niemand auf die Idee kommt, ihren Goldesel anzufassen. Das tun unsere Leitmedien aber nicht. Stattdessen veröffentlichen sie Kolumnen, in denen Redakteure die Interesse der Mächtigen vertreten, statt sie kritische zu beurteilen. Es ist ja auch nicht so, als ob man ein Genie sein muss, um diesen Missstand zu entdecken. Man muss sich nur die Frage stellen, warum wir früher weniger Verbote hatten und das Gesundheitssystem trotzdem besser funktioniert hat. Dass hier mehr Verbote nicht die Lösung sind, ist eigentlich offensichtlich.

Nichts gegen Stefan, das Problem liegt in diesem Fall bei seiner Quelle. Aber ja, ich kann die Leute verstehen, die austicken, wenn jemand vorschlägt, der Staat solle doch regulieren, wieviel Zucker im Softdrink ist, den ich trinke. Ich werde dieses Jahr 40. Ich habe bisher keinen einzigen Tag meines Lebens in einem Krankenhaus verbracht. Wenn ich einen Softdrink trinken will, dann ist das meine Sache, wieviel Zucker da drin ist. Ich bin keine 12 mehr. Im Gegenteil, ich zahle nun seit knapp 20 Jahren in unser Gesundheitssystem ein. Und nicht zu knapp. Wenn das Geld nicht reicht, um mich zu behandeln, wenn ich mich mit Cola fett saufe, dann ist das nicht mein Problem. Dann haben die Politiker versagt, die dieses Geld verwalten. Vielleicht sollte die Zeit da mal drüber nachdenken. Ich werde auch ziemlich sauer, wenn der Staat mich zunehmend wie ein Kleinkind behandelt, im Gegenzug aber Steuern und Abgaben von einem Erwachsenen haben will.


Eine Randnotiz vielleicht noch zur “liberalen Demokratie” im United Kingdom. Ich würde England rein gar nicht als sehr freiheitliche Demokratie charakterisieren. Und ich habe dort schließlich eine Weile gelebt. Das Vereinigte Königreich war, geschichtlich gesehen, sehr früh eine Demokratie und (für die damalige Zeit) auch sehr freiheitlich, ist im heutigen Vergleich mit anderen Demokratien in Europa (oder gar den USA) doch eher autoritär. Ich würde das Vereinigte Königreich eher als “konservative Demokratie” charakterisieren.

Mann muss nur mal beobachten, wie hart der englische Staat und seine Exekutive auch bei bereits kleinen Rechtsbrüchen zupacken. Als Deutscher kann es einen da schon mal schnell kalt überraschen, wenn man merkt, wie schnell man in England zum Beispiel im Gefängnis landet, wo der deutsche Staat im Direktvergleich noch jahrelang mit Bewährungsstrafen oder gar nur Busgeldern agiert. Aber schließlich hat England ja auch einen König. Und unsere freiheitliche Demokratie hierzulande ist ja eben gerade auch deswegen entstanden, weil die Bürger irgendwann keine Lust mehr darauf hatten, dass sich ein König einbildet, er müsse seine Untertanen vor sich selbst schützen.