Hilfe! Die KI versteht die Jugend nicht mehr!

Sollten wir eine KI haben, die Kinder davon abhält, sich zu beleidigen? Wäre es nicht viel schlauer, Kindern beizubringen, wie man mit Beleidigungen erwachsen umgeht?

Grafik basierend auf Material von Midjourney

Digital Total
Dies ist die 231. Ausgabe meiner Dienstags-Kolumne Digital Total, die früher in in der Ostfriesen-Zeitung veröffentlicht wurde. Seit dem 1. Juli 2025 führe ich diese Kolumne hier in meinem Blog weiter.

In der vergangenen Woche habe ich in der Presse gelesen, dass KI-Modelle wohl Schwierigkeiten damit haben, den Slang der Alpha-Generation — also von Kindern und Jugendlichen — zu verstehen. Ich finde diese Nachricht an sich viel weniger interessant, als die Art, wie die Presse mit ihr umgeht. Schließlich geht es da hauptsächlich um irgendein komplexes Problem der technischen Implementierung solcher Systeme, das früher oder später eh gelöst werden wird. Viel interessanter ist, warum das als Problem angesehen wird. Und dass niemand über die viel wichtigeren soziologischen Hintergründe berichtet, über die wir bei dieser Gelegenheit viel eher diskutieren sollten.

Das eigentlich Berichtenswerte bei dieser Nachricht ist nicht, dass eine Studie herausgefunden hat, dass Machine-Learning-Modelle Probleme mit dem Slang von Jugendlichen haben, sondern warum das als Problem angesehen wird. Laut den Journalisten, die diese Studie unreflektiert wiederkäuen, ist es nämlich gefährlich, dass die KI jetzt nicht mehr die digitalen Räume der Alpha-Generation zensieren kann. Weil die KI ja eventuell nicht versteht, dass sich die Jugendlichen gerade beleidigen. Glaubt man den Autoren der Studie, einer Lehrerin aus dem Silicon Valley und einem Forscher an der Universität von Trento in Norditalien, ist das ein Sicherheitsrisiko.

Weder die Studie noch die Journalisten erklären, warum Slang-Beleidigungen, die eine KI nicht lesen kann, ein Sicherheitsrisiko sein sollen. Ich finde das auch nicht eingängig. Da ich nicht bei einem Geheimdienst arbeite oder sonst wie professionell lügen muss oder Geheimnisse bewahre, habe ich Sprache noch nie als Sicherheitsrisiko angesehen. Als ich Kind war, wurden unsere Diskussionen (und Beleidigungen) auch nicht per KI analysiert und zensiert. Unsere Eltern haben damals auch nur höchstens die Hälfte von dem, was wir da erzählt haben, verstanden. Und es ist trotzdem niemand durch Worte getötet oder dauerhaft verletzt worden. Jetzt reden Kinder halt oft per Textkommunikation miteinander. Das macht es eventuell schwieriger, Beleidigungen zu erkennen, weil Kontext wie die Stimmlage oder Lautstärke fehlt, aber körperlicher Schaden entsteht da trotzdem nicht.

Und wenn die psychologischen Schmerzen das Problem sind, würde ich als Journalist, Forscher — und vor allem als Elternteil — mal lieber drüber nachdenken, warum sich mein Kind durch Worte derart verletzt fühlt. Vielleicht ist das eher ein Problem der Erziehung und kein technisches Manko für das man eine technische Lösung finden muss. Allerdings vermute ich stark, dass die Erwachsenen, die hier wieder mal nach einer technischen Lösung schreien, selbst nicht reif genug sind, um mit Wörtern erwachsen umzugehen.

Als jemand, der fast seine ganze gymnasiale Laufbahn von anderen Kindern auf derbste Weise mit Worten angegangen und ziemlich hinterhältig psychologisch angegriffen wurde, weiß ich ziemlich gut, dass die beste Art der Verteidigung gegen solche Grausamkeiten das Wissen ist, dass diese psychologischen Prozesse keine Macht über einen haben, wenn man sie analysiert, versteht und dann abschaltet. Statt einer dystopischen Zensur und KI-Kontrolle würde ich mir wünschen, dass wir Kindern beibringen, wie man mit solchem Verhalten effektiv umgeht. Ich habe das über lange Jahre und unter viel Schmerz Stück für Stück selbst lernen müssen. Man hätte mir diese mühsam erlernten Verteidigungsstrategien aber auch ziemlich schnell beibringen können. Angefangen mit der offensichtlichen Weisheit, dass Worte einem nicht weh tun können, wenn man das selbst nicht zulässt. Das ist eine Lebenserfahrung, die einem als Erwachsener viel mehr bringt als alles andere, was man sonst so auf der Schule lernen kann.

Ich sehe aber im Moment leider nur, dass sich unsere Gesellschaft in die entgegengesetzte Richtung entwickelt. Wir ziehen offensichtlich Kinder groß, die nicht mal mehr Worte aushalten und schreien dann nach unserer eigenen, privaten Orwell-Hölle, um uns davor zu schützen. Was machen diese Kinder denn, wenn ihnen als Erwachsener mal wer Widerworte gibt und sich weigert einzulenken? Davon, was passiert, wenn diese Erwachsenen mal auf ein wirkliches Sicherheitsrisiko treffen, ganz zu schweigen.