Wieder mal Drachenlord

Die Presse, und mit ihr die Allgemeinheit, hat das Phänomen Drachenlord immer noch nicht verstanden. Vor allem, weil dümmlich-naive Floskeln vom Internet-Hass die Situation verkennen.

Rainer Winkler in einem seiner Musikvideos (Screenshot: YouTube / Video mittlerweile gelöscht)

Digital Total
Dies ist die 237. Ausgabe meiner Dienstags-Kolumne Digital Total, die früher in der Ostfriesen-Zeitung veröffentlicht wurde. Seit dem 1. Juli 2025 führe ich diese Kolumne hier in meinem Blog weiter.

Es ist nun fast genau 14 Jahre her, seit Rainer Winkler — besser bekannt als der “Drachenlord” — zum ersten Mal Aufsehen im Internet erregte. Einer breiteren Öffentlichkeit ist der mittelfränkische Charakter wohl seit mindestens der Hälfte dieser Zeit ein Begriff, nämlich seit dem als “Schanzenfest” bekannt gewordenen Ansturm auf seinen ehemaligen Wohnsitz in Altschauerberg im Jahr 2018. In dieser ganzen Zeit hat die deutsche Öffentlichkeit das Phänomen Drachenlord immer noch nicht verstanden. Das liegt vor allem an der Presse, die mit Vorliebe eine dümmlich-naive Version der Realität propagiert, in dem ein armer, etwas unbedarfter YouTuber von einer großen Community aus “Hatern” verfolgt wird.

Was in der Presse gerne als “Hass” beschrieben wird, ist allerdings eher ein komplexes soziologisches Problem, an denen der sogenannte “Drachenlord” mindestens genauso stark beteiligt ist, wie seine sogenannten “Hater”. Dass die Floskel des Internet-Hasses das Problem nicht ausreichend beschreibt, geschweige denn erklärt, erkennt man schon daran, dass seit Jahren viele Leser auf solche Presse-Berichte mit der überraschten Frage reagieren, woher dieser Hass den bloß kommt? Das liegt daran, dass die ebenso vereinfachte wie schlichtweg falsche Version der Realität, die in diesen Berichten widergespiegelt wird, die Reaktion der Allgemeinheit auf Winkler nicht adäquat erklären kann.

Um das Phänomen Drachenlord zu verstehen, muss man zuerst einmal akzeptieren, dass dieser Mann einen großen Teil der Reaktionen, die ihm entgegenschlagen, selbst ausgelöst hat. Was die Reaktion seiner “Hater” — oder genauer: seiner Anti-Fan-Community — nicht entschuldigen soll. Aber genau wie eine Beleidigung die Reaktion des Faustschlages ins Gesicht durch das Gegenüber nicht entschuldigt, so erklärt sich die ganze Situation einer nebenstehenden Person doch deutlich besser, wenn sie beiden Seiten der Auseinandersetzung beiwohnt. So ähnlich ist das mit Winkler. Was seine Community mit ihm macht, ist oft schrecklich und unentschuldbar. Es wird aber deutlich verständlicher, wenn man sich vorher mal den “Content” angesehen hat, mit dem Winkler über Jahre versucht hat, im Internet Geld zu verdienen. Leider machen sich die wenigsten Journalisten die Mühe, so weit zu recherchieren und verstehen deshalb von Anfang an die ganze Situation gehörig falsch.

Das erklärt dann auch, dass es auch 2025 immer wieder Presseberichte gibt, die das, was da alle Jahre wieder um den “Drachenlord” passiert, nur naiv beschreiben, aber nicht erklären können. Dass die “Hater” vom sogenannten “Schanzenfest” im Jahr 2025 nichts mit denen aus dem Jahr 2018 gemeinsam haben, verstehen diese Journalisten nicht. Weil sie eben auch nicht verstehen, dass es bei diesem gesellschaftlichen Phänomen längst nicht mehr um Rainer Winkler geht, sondern um die Gesellschaft an sich und wie sie mit dem Internet umgeht. Wie sonst erklärt sich, dass sich dort Menschen in Altschauerberg treffen, die mit der eigentlichen Anti-Fan-Community, die Winklers Videos und Streams vor Jahren geschaut und darauf reagiert hat, rein gar nichts zu tun haben? Zumal sich diese neuen “Hater” in Altschauerberg zusammenrotten, wo nur noch ein leergeräumtes Brachgrundstück an den “Drachenlord” erinnert, und nicht in dem Kaff in der sächsischen Provinz, wo Winkler dieser Tage residiert.

Winkler hat vor Gericht mal behauptet, der “Drachenlord” sei gar nicht er selbst, sondern eine von ihm gespielte Kunstfigur. Im Endeffekt hat er damit Recht behalten. Beim sogenannten “Hass” auf den “Drachenlord” geht es schon lange nicht mehr um Rainer Winkler. Es geht darum, was das Internet mit Menschen macht. Und was Menschen mit dem Internet machen.

– 30 –