Darf man Orwell als E-Book lesen?

Über die Ironie, Orwells Meisterwerk Nineteen Eighty-Four als E-Book zu kaufen.

Meine Ausgabe von Orwells Nineteen Eighty-Four

Digital Total
Dies ist die 238. Ausgabe meiner Dienstags-Kolumne Digital Total, die früher in der Ostfriesen-Zeitung veröffentlicht wurde. Seit dem 1. Juli 2025 führe ich diese Kolumne hier in meinem Blog weiter.

Ich habe wieder damit angefangen, George Orwells Nineteen Eighty-Four zu lesen. Unter anderem, weil ich das Gefühl habe, dass dieses Buch immer aktueller wird, je älter es ist. Aber auch, weil es schon eine ziemliche Weile her ist, seit ich es das letzte mal in der Hand hatte. So lange, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann, welche Ausgabe ich damals gelesen habe und wo die jetzt ist. Ich habe die Vermutung, ich hatte es damals aus der Bibliothek ausgeliehen. Auf jeden Fall scheine ich diese Ausgabe nicht mehr zu besitzen. Oder kann sie auf jeden Fall nicht finden.

Deshalb stand ich nun vor der Situation, mir eine neue Ausgabe dieses Klassikers zulegen zu müssen. In den vergangenen Jahren habe ich in dieser Kolumne ja immer mal wieder darüber geschrieben, wie sehr ich echte Bücher aus Papier liebe. Aber auch, welche Vorteile E-Books haben und dass ich diese Vorteile ebenfalls sehr zu schätzen weiß. Ich bin deshalb durchaus schon mal hin- und hergerissen, ob ich mir ein Buch jetzt auf Papier oder in digitaler Form kaufen soll. Meist entscheide ich mich für die Digitalform, weil es eben weniger umständlich ist — auch wenn ich es eigentlich lieber mag, altmodisch auf Papier zu lesen.

In diesem Fall schwebte mein Finger schon über dem “jetzt kaufen”-Button des E-Books von Nineteen Eighty-Four bei Amazon, als mir plötzlich etwas bewusst wurde. Als Buchautor weiß ich, dass Amazon es Verlegern erlaubt, den Text von E-Books zu ändern, nachdem das Nuch veröffentlicht wurde. Und es ist in der Vergangenheit auch schon das ein oder andere mal passiert, dass Herausgeber den Text von E-Books im Nachhinein verändert haben und diese Änderung dann in die Kindle-Bibliotheken aller Leser ausgespielt wurde. Und zwar rede ich hier nicht von Rechtsschreib- oder Layoutfehlern, wo so etwas ja durchaus legitim ist. Nein, hier wurde der Inhalt von Texten verändert; zum Teil aus politischen Gründen. Also haben Kunden eine Version eines Buches gekauft und hatten dann plötzlich eine andere Version auf ihrem Kindle. Nun wäre es denkbar, dass ich eine Kindle-Ausgabe von Nineteen Eighty-Four kaufe und Amazon die im Nachhinein ändert. Das ist gar nicht so schrecklich weit hergeholt, da der Konzern in der Tat im Jahr 2009 Ausgaben eben dieses Buches aus den Kindle-Bibliotheken von Kunden gelöscht hatte, nachdem man bei Amazon festgestellt hatte, dass diese Ausgaben ohne die entsprechenden Urheberrechte veröffentlich worden waren.

Dass mir der Herausgeber von Nineteen Eighty-Four meine Kindle-Ausgabe des Buches heimlich ändert, oder gar löscht, wäre so ziemlich die größte Ironie, die ich mir vorstellen kann. Denn Nineteen Eighty-Four ist schließlich ein Buch, in dem es vor allem darum geht, was mit einer Gesellschaft passiert, wenn ganze Teile ihrer Geschichte gelöscht und andere ständig umgeschrieben werden. Ich bin deshalb zu dem Entschluss gelangt, dass man Nineteen Eighty-Four wirklich nur als gedrucktes Buch kaufen kann. Denn das tolle an gedruckten Büchern ist, dass es viel schwerer ist, diese zu verändern. Solange wir noch nicht in einem Regime wie in diesem Roman leben, wird das auffallen. Falls wir aber stattdessen unsere Bücher alle als jederzeit veränderliche E-Books kaufen, könnte es sein, dass wir uns schneller in einem solchen totalitären Alptraum wiederfinden, als uns lieb ist.

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