Das Action-RPG Greedfall und die Doppelmoral bei Kotaku und anderen Kollegen der Spielepresse.

Leute, die mich gut kennen, wissen, dass es eine meiner selbstgesetzten Aufgaben im Leben ist, Doppelmoral und Vorurteile zu vermeiden. Das klappt natürlich nicht immer, wir sind alle Menschen und Menschen machen Fehler, aber ich gebe mir so viel Mühe in dieser Hinsicht, wie möglich. Ich verabscheue Doppelmoral. Und gerade diese Woche ist mir mal wieder ein Fall davon untergekommen, der mich ziemlich ärgert.

Ich spiele gerade ein PC-Spiel, das am vergangenen Dienstag herausgekommen ist und über das ich in naher Zukunft eine Rezension schreiben will. Das Spiel heißt Greedfall und es ist ein bisschen so etwas wie der langersehnte Nachfolger zu den ersten beiden Dragon-Age-Teilen, den Bioware nie hinbekommen hat. Ein Rollenspiel, das in einer Hard-Fantasy-Welt mit nur einem Hauch Magie und vergleichsweise fortschrittlicher Technik wie Vorderlader-Pistolen spielt. Greedfall zeichnet sich vor allem durch ein für solche Fantasy-RPGs ungewöhnliches Setting aus: In einer an die Kolonialzeit des 17. Jahrhunderts angelegten Welt haben drei kontinentale Mächte eine Insel mit ungeahnten Bodenschätzen und natürlichen Reichtümern entdeckt, die sie nun erobern und besiedeln wollen. Das Ganze mündet in einem Wettkampf um die Insel, unter dem vor allem die einheimische Bevölkerung leidet – ein aus lösen Stämmen bestehendes Naturvolk, das in relativer Harmonie mit seiner Umgebung lebt.

Die Analogie hier ist klar: Die europäische Kolonialisierung Amerikas. Mit Dreispitz, Wams und Degen gerüstet begibt sich die Hauptfigur des Spiels in die Neue Welt. Ich finde diese Atmosphäre und den Look, den sie mit sich bringt, sehr erfrischend. Meiner Meinung nach ist es eine schöne Innovation des französischen Entwicklerstudios hinter dem Spiel. Leider sehen das nicht alle meine Kollegen so, vor allem nicht in der angelsächsischen Spielepresse. Vor allem eine Rezension der Spielekritikerin Heather Alexandra beim US-Magazin Kotaku hat die Diskussion über das Spiel in der vergangenen Woche geprägt. Alexandra kritisiert Greecfall vor allem für sein “unangenehmes Setting”.

Ich könnte diese Kritik akzeptieren, wenn sie historisch schlüssig durchdacht wäre. Aber natürlich ist sie das nicht; erwartet man von US-amerikanischen Videospiele-Journalisten ja auch irgendwie nicht anders. Natürlich bin ich hier nicht der Meinung, dass die Eroberungen von Cortés und die darauf folgenden zahllosen Übergriffe auf amerikanische Ureinwohner durch spanische, portugiesische, französische und britische Kolonialisten nicht unsagbar schrecklich waren. Natürlich waren sie das. Aber was mich hier stört, ist die Doppelmoral gegenüber einem neuen Videospiele-Setting, wenn Videospiele seit Jahrzehnten im Dritten Reich, im ersten Weltkrieg, während den Kreuzzügen des Mittelalters und im Rahmen des britischen Empire spielen. Warum akzeptieren meine Kollegen bei Kotaku und anderen Publikationen Spiele, welche die Schlacht von Stalingrad zum Thema haben oder Rollenspiele, welche mehr oder weniger die Kreuzzüge abbilden, aber werden auf einmal beim Thema Südamerika sensibel? Dieser Trend ist mir schon bei Shadow of the Tomb Raider aufgefallen.

Das ist Doppelmoral, die daraus erwächst, dass man sich über ein neues Setting aufregt, ohne zu reflektieren, was man in der Vergangenheit als selbstverständlich akzeptiert hat. Das kommt aus der gleichen Ecke wie Leute, die Gewalt in Videospielen anprangern, aber bei viel schlimmerer Gewalt in Filmen und Büchern nicht mal mit der Wimper zucken. Sowas regt mich auf. Ich fänd es völlig in Ordnung, wenn Menschen wie Alexandra eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema der Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner persönlich als unangenehm empfinden. Aber von einer professionellen Spiele-Journalistin erwarte ich eine Einordnung einer solchen Aussage ins große Ganze. Und dann muss zur Sprache kommen, dass sich Spiele des Öfteren in vergleichbar moralisch ambivalenten Settings abspielen. Immerhin ist Greedfall in dieser Hinsicht ziemlich innovativ, was bei Rollenspielen, vor allem im Fantasy-Genre, äußerst selten ist.

Nach knapp 24 Stunden Spielzeit finde ich persönlich Greefall übrigens in keinster Weise unangenehm. Ganz im Gegenteil. In diesem Action-RPG säbelrasselnd eine parallele Neue Welt zu erkunden ist so erfrischend, wie es nur sehr wenige Videospiele in den letzten zwei Jahrzehnten waren.


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