Man sollte doch meinen, Menschen würden es generell begrüßen, wenn man versucht, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren. Gerade was die Corona-App der Regierung angeht, scheint dem aber nicht so zu sein.

Ich beschäftige mich jetzt seit über zwei Monaten mit der Idee des Contact Tracing im Kampf gegen SARS-CoV-2. In dieser Zeit habe ich, unter anderem, ausführlich über die deutsche Corona-Warn-App geschrieben – zuletzt diesen Freitag und übers Wochenende. Was mich an diesem Thema wirklich sehr beunruhigt, ist die klare Tendenz ganz vieler Leute, über offensichtliche Probleme hinwegzuschauen, wenn das bedeutet, dass es so aussieht, als ob etwas getan wird. Was getan wird, ist eigentlich egal, Hauptsache irgend etwas passiert. Stellen, die normalerweise extrem kritisch sind, was den Datenschutz oder die IT-Sicherheit angeht, sind auf einmal bereit ein, oder auch mal zwei, Augen zuzudrücken. Weil “bei Corona” anscheinend der Zweck die Mittel heiligt. Hauptsache die App kommt in die App Stores. So schnell wie möglich!

Nach allem, was ich gesehen habe, machen die Entwickler bei SAP und Telekom und die Tester, die in Zusammenarbeit mit dem BSI die App prüfen, einen sehr guten Job. Aber dann wird einfach mir nichts, dir nichts ein Termin für die Veröffentlichung festgelegt und alle fragen nur, wie hoch sie springen sollen. Anstatt vielleicht mal kritisch zu hinterfragen, ob so eine App, die sicher auf Millionen von Smartphones unter zwei komplett unterschiedlichen Betriebssystemen laufen soll, nicht mehr als sechs Wochen Entwicklung und Sicherheits-Tests braucht. Wie sowas in die Hose gehen kann ist ja an anderen Orten auf der Welt, etwa in Australien, schön zu sehen.

Ich hätte auch ein besseres Gefühl bei dieser App, wenn die Beteiligten offener darüber reden würden, was wie getestet wurde. Aussagen dazu, wie vertrauenswürdig und sicher diese App ist gibt es mittlerweile viele. Aber welche dieser Presse-Mitteilungen und Nachrichten-Meldungen geht wirklich ins Detail und beantwortet technische Fragen? Was wurde getestet? Welche Schwachstellen wurden gefunden? Wie wurden die behoben? Was wurde nicht getestet? Ich habe mir in den letzten Wochen die größte Mühe gegeben, diese Fragen den richtigen Leuten zu stellen. Konkrete Antworten habe ich nur wenige bekommen. Und das, obwohl ich sagen kann, dass ich vom größten deutschen IT-Nachrichtenmagazin beauftragt wurde, über das Thema zu schreiben. Die PR-Stellen der beteiligten Firmen spielen sich den Ball hin und her, reagieren gar nicht, oder haben mich auf unbestimmte Zeit vertröstet. Und dann versucht man, mit dem wenigen, was man hat, doch was zu schreiben und der Öffentlichkeit Informationen zu verschaffen und alles was man dafür erntet ist Kritik. Und dpa-Gegenmeldungen voller irreführender Informationen, die den Leser davon abhalten sollen, an die eigentlichen Fakten zu kommen.

Das ist traurig. Und es ist kein Dienst an der Öffentlichkeit. Kein Wunder, dass es kaum noch vernünftigen, kritischen Journalismus zu wichtigen Themen wie diesem gibt. Wenn man als Journalist schon in so einer Situation, wo der Quellcode der App offen ist und eigentlich alle am selben Strang ziehen und man Kontakte bei vielen der beteiligten Organisationen hat, nicht an klare Informationen ran kommt, wie soll so was dann erst funktionieren, wenn die Gegenseite wirklich mal was vor der Öffentlichkeit verbergen will? Und alles nur, weil man ja nichts berichten soll, was auch nur ansatzweise negativ aufgefasst werden könnte. Weil die Öffentlichkeit ja dann sofort das Vertrauen in die App verliert. Und das darf auf keinen Fall passieren! Und die App muss nächste Woche raus! UND DANN WIRD ALLES GUT!!!

Nur leider sorgt ihr in eurer Angst, freie Berichterstattung könnte das Vertrauen in die App zerstören im Endeffekt für genau diesen Vertrauensverlust. Und nebenbei sorgt ihr noch mit dafür, dass es irgendwann keine freie Berichterstattung mehr gibt, weil ihr mit eurem PR-Gegenfeuer auch noch das Vertrauen der Leser in guten Journalismus torpediert.

Versteht mich nicht falsch, ich hab kein Problem damit, mich mit PR-Leuten zu kloppen und mich bei Kontakten unbeliebt zu machen, um an Informationen zu kommen. Das ist mein Job. Aber ich finde es widerlich, dass ich das tun muss, wenn die Bundesregierung eine Open-Source-App zur Rettung der Menschheit programmieren und testen lässt. Genau bei so einer wichtigen Sache ist es doch gerade essenziell, dass da mal jemand kritische Fragen stellt. Diese Fragen sollte man begrüßen und beantworten und nicht unbeachtet lassen oder mit PR-Tricks ausmanövrieren.