Im einem Drogenprozess vor dem Landgericht Düsseldorf wird deutlich, wie die Ermittlungsbehörden Daten aus entschlüsselter Kommunikation auswerten.

In den Neunzigern hatte ich als Schülerpraktikant meinen ersten Job als Journalist (damals noch unbezahlt) bei der WAZ-Lokalredaktion in Duisburg. Eine meiner ersten Aufgaben war das Beiwohnen mehrerer Gerichtsprozesse am Amtsgericht, als Aushilfs-Gerichtsreporter. Da ich Prozesse, vor allem Strafverfahren, schon immer sehr interessant fand, fasste ich vor einiger Zeit den Entschluss, diese erste Berufserfahrung bald mal wieder aufleben zu lassen. Schließlich bin ich auch deswegen freier Journalist geworden, um das zu machen, was mir Spaß macht. Und so kommt es, dass ich mich heute morgen im Landgericht Düsseldorf im Saal der 11. großen Strafkammer wiederfand, um einem Prozess gegen einen mutmaßlichen Drogenhändler beizuwohnen.

Gras zu den Eltern geliefert

Dem Angeklagten werden mehrere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen. Er soll in größeren Mengen Cannabis gekauft und wohl auch verkauft zu haben. Der Anfangsverdacht war entstanden, weil zweimal Pakete mit Cannabis von unbekannten Personen aus Südspanien an die Adresse des Angeklagten in Neuss geschickt worden waren – der Angeklagte wohnte zu diesem Zeitpunkt in einem Zimmer im Haus seiner Eltern. Der Zoll hatte die Pakete geöffnet und darin statt der angegebenen Küchenutensilien in mehrere Frischhalte-Beutel eingeschweißtes Marihuana entdeckt. Daraufhin beantragte die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss für die Adresse des Beschuldigten und untersuchte dessen Zimmer im Haus der Eltern – die am heutigen Prozesstag nicht anwesend waren und anscheinend am Morgen der Durchsuchung dachten, ihr Sohn sei nicht nach Hause gekommen und noch unterwegs. Stattdessen schlief er in seinem Zimmer. Die Polizei stellte in dem Raum insgesamt 141 g Rauschgift, eine Feinwaage und Verpackungsmaterial sicher. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft sollen Waage und Verpackungsmaterial dazu gedient haben, das Cannabis zu portionieren und dann weiterzuverkaufen.

Der Angeklagte streitet ab, die 141 g Cannabis in seinem Zimmer seien zum Verkauf bestimmt gewesen. Er gab zu Protokoll, das Rauschgift zum eigenen Konsum gebunkert – laut vorsitzendem Richter immerhin 1610 Konsumeinheiten – und nur gelegentlich kleine Mengen an Freunde abgegeben zu haben. Dem Richter, der sich nach eigener Aussage seit 20 Jahren hauptsächlich mit Betäubungsmittel-Delikten befasst, viel es sichtlich schwer, das zu glauben. Er versuchte immer wieder, dem Angeklagten eine plausible Geschichte seiner Arbeitsverhältnisse und seines gleichzeitigen Drogenkonsums zu entlocken. Dabei bliebt unbeantwortet, wie es der Angeklagte schaffte, gleichzeitig sehr motiviert als Abteilungsleiter eines Warenlagers zu arbeiten, und dabei die Unmengen an Cannabis zu konsumieren, die er nach eigener Aussage für sich eingelagert hatte. Ebenfalls unbeantwortet blieb die Frage, wie er sich den Kauf dieser Mengen an Rauschgift hatte leisten können.

Fingerabdruck aus EncroChat-Gesprächsverlauf

Interessanterweise beschuldigt die Staatsanwaltschaft den Angeklagten auch, im Juni 2020 zwei Kilogramm Cannabis für €4900 erworben zu haben. Angeblich von einem in der Neusser Drogenszene bekannten, und mittlerweile auch schon zu einer über sechsjährigen Haftstrafe verurteilten, Drogen-Importeur. Diese Anschuldigung beruht auf Chatverläufen des verschlüsselten Android-Messengers EncroChat, den die französische Polizei etwa zur selben Zeit unterwandert hatte. Ein Nutzer dieses Messenger-Dienstes hatte augenscheinlich einen entsprechenden Drogenkauf in Neuss organisiert und später ein Bild mit Cannabis-Blüten (anscheinend aus dem Kauf) an den Verkäufer geschickt. Dabei hielt der EncroChat-Nutzer die Blüten auf dem Foto in seiner linken Hand in die Kamera seines Smartphones. Dem Bundeskriminalamt gelang es, mit Hilfe der auf dem Foto sichtbaren Finger-Oberflächen, den Angeklagten zu identifizieren. Seine Fingerabdrücke waren wegen mehrerer früherer Prozesse und Vorstrafen, unter anderem wegen Gewaltverbrechen, im automatischen Fingerabdruck-Identifizierungssystem (AFIS) des BKA gespeichert. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hegte Zweifel an dem BKA-Gutachten zur Identifizierung der Hand des Angeklagten, was eventuell in einem späteren Verhandlungstermin zu einer Prüfung des Gutachtens durch das Gericht führen könnte. Der vorsitzende Richter gab allerdings zu Protokoll, dass diese Art der Identifizierung von Fingerabdrücken bereits in mehreren ähnlichen Prozessen von Gerichten akzeptiert worden sei.

Das BKA hatte den Angeklagten allerdings nicht nur über den Ort der Drogenübergabe und seine Fingerabdrücke identifiziert. Der Richter verlas ebenfalls ein Chatprotokoll, in dem sich anscheinend mehrere Drogendealer über den Angeklagten unterhielten, weil dieser in ihrem Revier gewildert und einen der mutmaßlichen Dealer gegen einen Kumpel ausgespielt hatte. Angeblich weil der Angeklagte eine bestellte Drogenlieferung nicht sofort bezahlen konnte. Dabei benutzte einer der Drogen-Importeure mehrmals Vor- und Nachname des Angeklagten. Im Chat zum €4900-Drogenkauf in Neuss war der unbekannte EncroChat-Nutzer von einem Dealer-Freund ebenfalls mehrmals mit einer Kurzform seines Vornamens angesprochen worden.

Mit anderen Worten: Nach der Amtshilfe durch die französische Polizei, die den EncroChat-Messenger mithilfe eines Trojaners auf den dazugehörigen verschlüsselten Telefonen geknackt hatte, konnte die deutsche Polizei ein relativ großes Drogengeschäft einem deutschen Verdächtigen zuordnen. Einem Verdächtigen, der in der Vergangenheit bereits für den Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt worden war und dem man nach den postalischen Drogensendungen aus Spanien und der darauf folgenden Durchsuchung im Haus seiner Eltern wieder auf die Schliche gekommen war.

Auch am Ende des ersten Prozesstages stritt der Angeklagte weiterhin ab, mit Drogen gehandelt zu haben. Ihm sie nicht bekannt, wie sein Name in die Chatverläufe von verurteilten Drogendealern komme. Der Richter gab bekannt, einen der verurteilten Dealer eventuell an einem weiteren Prozesstag als Zeuge vernehmen zu wollen. Ich werde, wenn möglich, weiter über dieses Verfahren berichten. Nach meiner detaillierten Analyse des klassischen Seitenkanal-Angriff auf die EncroChat-Handys in einer Podcast-Folge vom Juli 2020 , interessiert es mich, wie Polizei und Staatsanwaltschaft im Einzelfall diese Daten genutzt haben. Vor allem auch deshalb, weil ja immer noch das Vorhaben der Cannabis-Legalisierung der Bundesregierung im Raum steht.