Was passiert, wenn man auf einer Moto Guzzi 70.000 Kilometer weit über Stock und Stein fährt? Das Getriebe zerfällt zu Staub.

Meine derzeitigen Lebensumstände sind ein wenig mehr eine Achterbahnfahrt, als mir, um ehrlich zu sein, lieb wäre. Abgesehen von einem Umzug quer durch das halbe Land, bei dem viel zu planen ist und der immer unvorhergesehene Umstände mit sich bringt, war der Job in letzter Zeit auch besonders unplanbar. Da ich gerade ziemlich viel arbeite, wäre es wirklich schön, mal ein bisschen Urlaub zu haben, auf den man sich freuen kann. Aber auch das erweist sich in diesem Jahr schwieriger als gedacht.

Im vergangenen Herbst hatten mein Vater und ich angefangen, Pläne für eine Motorradtour durch Norwegen in diesem Sommer zu machen. Wir hatten Anfang dieses Jahres alles gebucht (Fähren und Unterkünfte) und dachten, dass wir somit für die Reise Ende August reisefertig seien. Und dann kam die Coronavirus-Situation dazwischen. Die Reise war also lange Zeit in Gefahr. Vor einigen Wochen erhielten wir dann die freudige Nachricht, dass wir jetzt wieder durch Dänemark nach Norwegen reisen dürfen. Das ist unsere geplante Reiseroute für die Tour:

Da die Öffnung der Grenzen wohl hieß, dass die Reise wie geplant stattfinden würde, beschloss ich, mich wieder an längere Touren zu gewöhnen. Aufgrund meiner Arbeitsbelastung konnte ich in diesem Jahr bisher leider nicht viel fahren. Deshalb bin ich in der vergangenen Woche dann mal einen Tag lang durch Schleswig-Holstein getingelt. Auf dem Rückweg dann der Schock: Mein Motorrad fing an, sehr beunruhigende Geräusche zu machen, und endlich nach Hause geschafft, bemerkte ich, dass auch Öl auslief. Lange Rede, kurzer Sinn: Das Getriebe ist komplett zerschossen.

Wir haben viel erlebt

Ich fahre eine Moto Guzzi V7 Special, die im Dezember 2013 gebaut wurde. Sie heißt Rocinante, kurz Roci. Ich habe die Maschine seit Juli 2014. In dieser Zeit bin ich etwas mehr als 70.000 Kilometer auf ihr gefahren. Auf früheren Touren haben mein Vater und ich zweimal die Pyrenäen, den Norden Schottlands und die Alpen bereist. Und ich bin auf ihr nach Zentralschweden gefahren.

Meine Moto Guzzi V7 an dem Tag in 2014, als ich sie bekommen habe

Ich hatte bisher zwei Crashs mit diesem Motorrad. Auf dem Weg zur Arbeit an einem verregneten Wintertag auf einer Landstraße in der Lüneburger Heide hat mich ein Auto in einem Kreisverkehr geschnitten, während ich herumfuhr, nahm mir die Vorfahrt und zwang mich zu einer Notbremsung. Da das Motorrad kein ABS hat, die Straße regenglatt war, rutschte ich seitlich aus dem Kreisverkehr und fiel vom Bike. Sie bekam eine Beule am Zylinderkopf und am Auspuff und ich verbrannte mir meine Motorradhose an etwas heißem Metall, aber ansonsten ging alles gut.

Der zweite Crash war schwerwiegender. Auf dem Rückweg unserer Schottland-Reise fuhr ich hinten auf ein Auto auf, dem mein Vater nur knapp ausweichen konnte. Ich habe mir einige Rippen und ein paar ander5e Dinge geprellt, aber meine Schutzausrüstung bewahrte mich vor weiterem Schaden. Roci erging es schlechter. Der Lenker war stark verbogen, das Scheinwerfergehäuse war völlig zerschossen, und später wurde klar, dass auch ein Gabelholm ersetzt werden musste. Trotzdem schafften wir es gemeinsam nach Hause und ich ließ sie reparieren.

Ich bin auch mal auf einer Wiese in der Schweiz umgefallen, aber da ich zu diesem Zeitpunkt stand und es kaum Schäden gab, zähle ich das nicht wirklich als Unfall.

Dieses Motorrad hat mich durch gute und schlechte Zeiten begleitet. Und neben Touren durch ganz Deutschland war sie mit mir bisher in Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg, Belgien, Spanien, Andorra, Italien, der Schweiz, Liechtenstein, Österreich, England, Schottland, Dänemark und Schweden.

2016 in den schottischen Highlands

So gut wie niemand fährt diese Motorräder so viel wie ich. Guzzis werden normalerweise an einem sonnigen Samstagnachmittag bis zur nächsten Eisdiele gefahren; wie die meisten Harleys. Ich habe einmal einen Typen auf einer V35 aus dem Jahr 1980 getroffen, die 12.000 Kilometer auf der Uhr hatte. Damals war mein Bike etwas mehr als fünf Jahre alt und hatte mehr als 50.000 Kilometern runter. Deshalb zerschießt es auch das Getriebe bei 70.000 hart erarbeiteten Kilometern. Die meisten V7 werden eine ähnliche Laufleistung wahrscheinlich nicht mal annähernd erreichen.

Die vergessene Kunst, Dinge zu reparieren

Die Reparatur des Getriebes wird mich wahrscheinlich über 4000 Euro kosten. Sowas wird von Fachleuten als “nicht kosteneffizient” bezeichnet. Für etwas mehr als 5000 Euro könnte ich ein Ersatzbike (exakt dasselbe Modell) mit rund 10.000 Kilometern auf der Uhr bekommen. Aber ich will kein anderes Motorrad.

Ein Grund ist sicherlich, dass ich dieses Motorrad liebe. Genau dieses. Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht und so viele Abenteuer erlebt. Wir haben gefährliche Situationen, Crashes und mechanische Probleme überstanden; eisiges Wetter, Regen und brütende Hitze. Ich bin mit ihr den höchsten Pass in den Alpen hinaufgefahren und über schnurgerade Straßen in Norddeutschland. Entlang der Seen in Schweden und der Schweiz. Durch englischen Nebel und endlose Tage schottischen Nieselregen. Ich habe mit ihr Urlaub gemacht und bin auf ihr zur Arbeit gependelt. Ich habe sogar auf diesem Bike geschlafen. Ich werde sie nicht aufgeben.

Im letzten Jahr in den französischen Alpen

Der zweite Grund, warum ich sie reparieren möchte, ist wahrscheinlich ein genauso emotionaler. Ich hasse unsere moderne Wegwerfgesellschaft. Ich habe hier ein perfekt funktionierendes Motorrad – der Rahmen ist in perfektem Zustand, die Elektronik funktioniert und Motor und Endantrieb sind immer sehr gründlich gewartet worden – mit einem einzigen kaputten Bauteil. Und alle sagen mir immer wieder, ich solle es verschrotten lassen und mir neues Motorrad kaufen. Warum nicht reparieren? Weil die Teile von Guzzi viel zu teuer sind? Weil es schwer ist, eine Reparaturwerkstatt zu finden, die das auch wirklich kann? Davon lasse ich mich nicht abhalten. Zum Teufel mit der Wirtschaftlichkeit! Ich hasse es, dass wir immer wieder Dinge wegwerfen, die repariert werden könnten. Von Elektronik, über Kleidung bis hin zu Motorrädern und Autos. Und ich habe mir im letzten Jahr oder so vorgenommen, diesen Trend zu durchbrechen, zumindest für mich selbst. Wir brauchen nicht immer das Neueste und das Beste, nur weil es neu und das Beste ist. Deswegen werde ich mein Smartphone so lange wie möglich benutzen und den Akku reparieren lassen, wenn er schlapp macht. Deswegen habe ich einen Gebrauchtwagen gekauft und werde ihn reparieren, wenn er kaputt geht. Und so wahr mir Gott helfe, ich werde dieses Motorrad reparieren!

Glücklicherweise scheine ich den richtigen Partner für dieses Unterfangen gefunden zu haben. Nach Jahren des Kummers mit offiziellen Moto-Guzzi-Vertragswerkstätten – die in Hannover ist scheiße und mit den beiden offiziellen Service-Zentren in Hamburg habe ich auch nur schlechte Erfahrungen gemacht – wird mein Motorrad jetzt beim unabhängigen Motorrad Service Altona repariert. Nachdem wir zuerst versucht hatten, ein gebrauchtes Getriebe zu finden – leider scheint im Moment alles auf dem Markt für die V7-II- und V7-III-Modelle zu sein, die eine etwas andere Motorkonfiguration als mein Bike haben und daher nicht kompatibel sind – sagten mir die Jungs von MSA, dass es wahrscheinlich kostengünstiger wäre, ein neues Motorrad zu kaufen. Und als ich dann sagte, dass ich dieses Motorrad repariert haben will , haben sie nicht mit der Wimper gezuckt und angefangen herauszufinden, wie man alle nötigen Teile bekommt. Das ist eine Reparaturwerkstatt, wie man sie sich wünscht. Die meisten dieser offiziellen Guzzi-Läden sind in erster Linie Verkäufer. Die wollen Motorräder verkaufen und dann mit dem Service Geld verdienen. Aufwändige Reparaturen machen die nicht so gerne (ist denen wahrscheinlich zu viel Arbeit).

Die Frage ist jetzt: Können wir die Teile rechtzeitig für die Reise im nächsten Monat bekommen? Die Beschaffung von Guzzi-Teilen ist notorisch lahm. Mein Vater (ein Honda-Fahrer) lacht sich über sowas immer kaputt. Vor ein paar Jahren hatte das Motorrad meiner Mutter eine Panne am Arsch der Welt in Kroatien und Honda hat ein wichtiges Teil einfach spontan per Fedex dahin geschickt. Die Reparatur des Bikes dauerte insgesamt weniger als zwei Tage. Ich hätte wahrscheinlich mehr als einen Monat gewartet, um ein ähnliches Spezialteil von Guzzi zu bekommen. Wenn es ihnen überhaupt gelungen wäre, an einen so abgelegenen Ort zu liefern. Nun, zumindest wird MSA es jetzt versuchen.

Herzinfarkt-Schreck

In der Zwischenzeit hatten wir erst mal einen ganz anderen Schrecken, als wir diese Woche dachten, mein Vater hätte einen Herzinfarkt gehabt. Da die Männer auf dieser Seite der Familie anscheinend eine Vorgeschichte in die Richtung haben, spielt ein gewisser genetischer Faktor eine Rolle, auch wenn wir ansonsten keinen der üblichen Risikofaktoren aufweisen – mein Vater und ich sind beide ziemlich fit und rauchen nicht (abgesehen von einer Zigarre zu seltenen Anlässen). Aber nach einer gründlichen Untersuchung scheint es so, dass seine Probleme nicht mit dem Herzen zu tun haben. Glücklicherweise kennt meine Frau durch ihre Arbeit einige ausgezeichnete Kardiologen, und wir konnten meinen Vater an Katys neuem Arbeitsplatz in Düsseldorf sehr schnell und effizient untersuchen lassen.

Es gibt zwar Probleme, aber die scheinen weit weniger beunruhigend zu sein als ursprünglich angenommen und es ist sehr wahrscheinlich, dass er die Tour mitfahren kann. Jetzt müssen wir nur noch hoffen, dass mein Bike es auch schafft. Sonst muss ich mit Mamas Honda durch Norwegen fahren und werde Roci die ganze Woche über schrecklich vermissen. Wünscht mir Glück!