In der aktuellen Folge von Logbuch: Netzpolitik geht es am Rande um einen Artikel von mir zur Corona-Warn-App. Dort werden Aussagen getroffen, die ich so nicht stehen lassen will. Deshalb hier einige Fakten zu dem Thema.

In Folge 353 des Podcasts Logbuch: Netzpolitik mit Tim Pritlove und Linus Neumann liest Linus zu Beginn der Folge eine E-Mail von Dirk Kretzschmar vor, den ich zur Entwicklung der Corona-Warn-App für den Artikel TÜV-Prüfung der Corona-App: Lücken gefunden, Kritik am Veröffentlichungstermin bei heise online interviewt hatte. Eigentlich war für mich das Thema dieses Interviews bisher durch, aber angesichts dieser neuen Entwicklung scheint es mir wichtig, mich noch einmal zu äußern. Da diese E-Mail einige Zweifel an meiner journalistischen Sorgfalt im Bezug auf diese Geschichte aufwerfen könnte, möchte ich hier ein paar Dinge klarstellen.


1. Zeitpunkt und Umstände des Interviews

Das Interview mit Herrn Kretzschmar wurde mir von der PR-Abteilung der TÜV Informationstechnik angeboten und es gab von Anfang an keine Zweifel, dass alles während des Gesprächs gesagte (wenn nicht explizit anders spezifiziert – was während des Gesprächs nicht passiert ist) on the record ist und in einen Artikel für heise online eingehen kann. Das Interview fand am Abend des 08.06.2020 statt.

Bestätigung des Gesprächstermins durch eine Sprecherin der TÜV Informationstechnik

Zu diesem Zeitpunkt stand als Veröffentlichungstermin der App der 16.06.2020 fest. Im Gespräch zwischen mir und Herrn Kretzschmar gab es absolut keinen Zweifel daran, dass wir bei der Veröffentlichung über diesen Termin reden.

2. Veröffentlichungszeitpunkt des Artikels

Ich habe den entsprechenden Artikel am Vormittag des 12.06.2020 geschrieben. Nach meinem Interview hatte ich von Herrn Kretzschmar zu diesem Zeitpunkt genau eine Mail bekommen, in der es keine Hinweise darauf gibt, dass er irgendeine seiner Aussagen aus unserem Gespräch revidieren wollte. Ich habe Herrn Kretzschmar eindeutig zu verstehen gegeben, dass ich eine Meldung bei heise online veröffentlichen werde. Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich gegenüber irgendjemandem in einer Richtung geäußert, die irgendwen dazu hätten verleiten können, zu glauben, der Artikel wird nicht mehr veröffentlicht.

Inhalt der einzigen E-Mail, die ich zwischen Interview und Veröffentlichung des Artikels von Herrn Kretzschmar erhalten habe

Die Meldung wurde aus zwei Gründen zu dem, für eine Online-News-Meldung zugegeben späten, Zeitpunkt veröffentlicht. Erstens weil ich mehrere Tage lang versucht habe, die von Herrn Kretzschmar geäußerten Bedenken von anderer Seite zu bestätigen. Leider waren während meiner Recherchen keine entsprechenden Git-Commits im Repo der Corona-Warn-App zu finden (was sich allerdings mit dem von Herrn Kretzschmar und von anderen beschriebenen Veröffentlichungsverfahren des Codes der App deckte) und niemand sonst, der an der Entwicklung oder am Testen der App beteiligt war, wollte mit mir on the record darüber sprechen. Zweitens gab es bei der Kommunikation zwischen mir und der heise-online-Redaktion ein Missverständnis, welches dazu führte, dass meine Meldung erst am späten Freitagnachmittag veröffentlicht wurde und nicht ein paar Stunden früher. Ein Faktor war sicherlich auch, dass dieser Freitag in Niedersachsen (Heise sitzt in Hannover) ein Brückentag war.

3. “Es gibt viele Gegner der App”

In der im Logbuch: Netzpolitik verlesenen Mail sagt her Kretzschmar “es gibt viele Gegner der App” in einem Kontext, der so verstanden werden könnte, dass ich damit gemeint bin. Deswegen hier noch einmal zum Mitschreiben: Ich bin und war nie Gegner der Corona-Warn-App oder der Contact-Tracing-Schnittstelle von Apple und Google. Ich fordere jeden, der das behauptet, heraus, diese Meinung an Hand der unzähligen von mir dazu verfassten Artikel oder der Stunden an Podcast-Material zu dem Thema stichfest zu belegen.

Was stimmt ist, dass ich Kritik speziell am PEPP-PT-Projekt geäußert habe und außerdem immer wieder die Meinung vertrat, dass es fraglich ist, ob solche Apps grundsätzlich funktionieren – d.h. ich habe sie unter anderem als “Luftschlösser von Technokraten” und “Solutionismus” bezeichnet. Ich habe dabei aber immer klar gestellt, dass ich keine Zweifel an der Datenschutztauglichkeit oder der grundsätzlichen Sicherheit der deutschen App habe. Oder dagegen bin, dass sie entwickelt wird. Ganz im Gegenteil: Ich habe die Entwicklung durchgehend als vorbildliches Open-Source-Projekt gelobt und den Umgang der Entwickler mit Sicherheitsproblemen als positives Beispiel herausgestellt. Als vielerorts gesagt wurde, der Bund habe zu viel Geld für diese App ausgegeben, habe ich immer die gegenteilige Meinung dazu vertreten.

Dass ich die Frage gestellt habe, ob Contact Tracing per Bluetooth grundsätzlich funktionieren kann und ob es nicht vielleicht bessere Lösungen zum Bekämpfen der COVID-19-Epidemie gibt, heißt nicht, dass ich ein “Gegner der App” bin. Jedem, der meine Artikel aufmerksam liest oder meine Podcasts hört, müsste das eigentlich unmissverständlich klar sein. Diese Fragen zu stellen muss legitim sein. Und wir wissen nach wie vor keine Antworten darauf. Es handelt sich hierbei um Dinge, über die es erst nach Monaten (oder sogar Jahren) wissenschaftlich belastbare Daten geben wird.

4. “Theoretische Angriffe”

In der besagten Mail sagt Herr Kretzschmar wohl auch (leider liegt mir der Originaltext nicht vor), er habe mit mir “theoretische Angriffe” besprochen und rumgesponnen “was denn so passieren könne”. Um das hier auch noch mal klarzustellen, Herr Kretzschmar hat mit mir in seiner Funktion als Verantwortlicher der TÜV Informationstechnik (die offiziell mit einem Sicherheitstest der App betraut war) on the record gesprochen. Ich stehe einhundert Prozent hinter allen in dem Artikel zitierten Passagen. Was in diesem Artikel steht, hat Herr Kretzschmar mir so gesagt. Natürlich haben wir über theoretische Angriffe gesprochen – alles zu dieser App war zu diesem Zeitpunkt theoretisch, sie war schließlich noch nicht veröffentlicht. Meine Meldung vermittelt auch keinen gegenteiligen Eindruck.

Wenn ich etwas an diesem Artikel bedauere, dann die Tatsache, dass ich keine unterstützenden oder widerlegende Aussagen on the record bekommen habe, um die Informationen von Herrn Kretzschmar zu vervollständigen. Der Artikel ist so spät erschienen wie er eben erschienen ist, weil ich alles in meiner Macht stehende getan habe, um das zu ändern. Am Ende habe ich dann darauf vertraut, dass mir der Verantwortliche der TÜV Informationstechnik schon ehrlich antworten wird und im Artikel klar gemacht, welche Aussagen von ihm kommen, damit sich der Leser ein eigenes Bild der Sache machen kann. Den Inhalt des Interviews zu ignorieren, war für mich keine Option. Dazu war das Thema zu wichtig und das Interesse der Allgemeinheit zu drängend. Außerdem war Herr Kretzschmar im Gespräch sehr offen und das Gesagte war plausibel und deckte sich mit den Informationen, die ich off the record bekommen hatte und mir aus öffentlichen Quellen ziehen konnte.


Ich hatte nach Veröffentlichung des Artikels übrigens auch Kontakt mit Linus Neumann und dachte eigentlich, ihm erklärt zu haben, wie das alles zustande gekommen ist. Er machte auf jeden Fall diesen Eindruck auf mich.

Lieber Linus, lieber Tim: Wenn ihr wollt erkläre ich euch gerne noch mal, wie das alles passiert ist. Auch on the record und am Mikro. Ich habe ein ziemlich professionelles Podcast-Setup und Studio Link ist auch installiert.


Aufmacherbild: Teil der Notizen, die ich mir während des Kretzschmar-Interviews gemacht habe